Die Entwicklungsgeschichte

der Freien Systemischen Aufstellungen

 

 

Olaf Jacobsen:

Natürlich ist die Entwicklung des Freien Aufstellens sehr eng an meine persönliche Entwicklung gekoppelt.

In den Jahren 1990 bis 1996, direkt nach meinem Auszug aus meinem Elternhaus, arbeitete ich viel an mir selbst. Ich löste emotionale Blockaden aus meiner Kindheit, aktuelle Hemmungen, Schüchternheitsgefühle usw. Erfolgreich. Ich fühlte mich emotional immer "offener" und auch "klarer". Allerdings nicht mit Hilfe von Therapeuten oder Beratern, sondern vollständig allein und selbstständig (mit Hilfe einiger Fachbücher). In meinem "stillen Kämmerlein". Während meines Musikstudiums.

 

Im Jahr 1996 las ich dann das erste Mal vom Familienstellen und erkannte darin sofort etwas wieder, was ich schon die ganze Zeit mit mir selbst machte: Ich löste meine emotionalen Probleme - autonom.

Damals sagten die Therapeuten über das Familienstellen, dass es ein machtvolles Werkzeug sei, das nur in therapeutische Hände gehöre. Ich fühlte dabei sofort eine Stimme in mir, die sagte: "Stimmt nicht! Man kann sich auch mit Hilfe der Aufstellungen selbst therapieren - ohne Hilfe von ausgebildeten Therapeuten."

Diese sechsjährige Erfahrung mit der erfolgreichen Arbeit an mir selbst machte mich von einschränkenden therapeutischen Sichtweisen und Haltungen unabhängig. Was nicht bedeutet, dass ich etwas gegen Therapeuten oder gegen Therapien hatte. Ich hatte nur etwas gegen die einschränkende Behauptung von Therapeuten, sie hätten die alleinigen Werkzeuge in der Hand und man könne sich nur durch eine fachlich angeleitete Therapie heilen lassen. Durch meine Selbstheilungsprozesse wusste ich, dass es eben auch selbstständig geht, ohne fachliche Anleitung, ganz aus dem eigenen Herzen heraus.

 

Allerdings wusste ich damals noch nicht, wie die rechtlichen Zusammenhänge beim Leiten von Aufstellungen waren. Ich befürchtete, dass ich als Nicht-Arzt, Nicht-Heilpraktiker und Nicht-Therapeut rechtlich in Grauzonen rutschen würde, wenn ich Familienstellen als Seminarleiter anbieten würde - und so dachte ich erst gar nicht daran.

 

Erst im Jahr 2002 "ergab" es sich bei meiner ersten Buchvorstellung in Affing, dass die kleine zuhörende Gruppe von 15 Personen mich aufforderte, doch einmal eine Aufstellung mit ihnen zu machen. Nachdem ich einräumte, dies noch nie gemacht zu haben, experimentierten wir einfach. Und es klappte wunderbar.

Ein paar Wochen später organisierte ich, ohne irgendeine Ausbildung absolviert zu haben, mein erstes Aufstellungsseminar - mit acht Frauen. Wir sammelten alle gemeinsam großartige Erfahrungen. Dabei erlebte ich, dass ich den Stellvertretern gar nicht unbedingt bestimmte "lösende Sätze" vorgeben musste, die diese dann aussprechen sollten (so war es damals noch üblich beim Familienstellen nach Bert Hellinger). Denn die Stellvertreter in meiner Veranstaltung sagten solche Sätze wie von selbst - auch diejenigen Teilnehmer, die noch nie Aufstellungen miterlebt hatten, fühlten als Stellvertreter in den Rollen ganz selbstständig, was sie an lösenden Sätzen oder Handlungen tun wollten. Ich brauchte den Stellvertretern nur Freiraum in ihren Aktionen zu geben - und die Lösung entwickelte sich meistens von selbst.

Die logische Konsequenz dieser Erfahrung war: Ich zog mich als "Leiter" der Aufstellungen immer mehr zurück und beobachtete, was wie von selbst geschah. Und als dann auch noch die Teilnehmer neugierig ihre eigene Aufstellung zu erforschen begannen, den Stellvertretern selbst Fragen stellten und Verschiedenes ausprobierten, wusste ich: Ich kann als Aufstellungsleiter bei besonders selbstständigen Teilnehmern auch total überflüssig sein.

 

Nach kurzer Zeit hatte ich das Freie Aufstellen entwickelt, bei dem die aufstellenden Teilnehmer der Chef ihrer eigenen Aufstellung sind. Mir kam das sehr gelegen, denn als Nicht-Therapeut fühlte ich mich unwohl, eine gewisse Verantwortung bei der Leitung einer Aufstellung zu tragen. Das Freie Aufstellen macht es jedoch möglich, dass ich meinen Teilnehmern aus einer untergeordneten quasi "verantwortungslosen" Rolle heraus mitfühlende und unterstützende Angebote und Vorschläge für ihre Aufstellung machen konnte. Und die Teilnehmer entschieden selbst autonom, meine Angebote anzunehmen oder etwas anderes zu machen. So arbeitete die gesamte Gruppe an jeder Aufstellung mit, weil jeder Teilnehmer genauso Vorschläge und Angebote an die aufstellende Person für eine Lösung machen konnte, wie ich. Damit war die allererste "echte" klientenzentrierte Systemaufstellung geboren worden.

 

2003 schrieb ich das erste Buch darüber: "Das Freie Aufstellen - Gruppendynamik als Spiegel der Seele. Einführung in eine freie Form der Systemischen Aufstellung". Siehe auch unter Literatur.

 

2005 durfte ich die Freien Systemischen Aufstellungen auf dem 5. Internationalen Kongress für Systemische Aufstellungen in Köln vorstellen - und erlebte großes Interesse des Fachpublikums.

 

Seit 2005 biete ich regelmäßig eine Ausbildung zum "Organisator für Freie Systemische Aufstellungen" an - für Interessierte, die diese Ausbildung gerne hätten. Trotzdem sage ich, dass man auch ohne Ausbildung das Freie Aufstellen organisieren kann. Ich habe ja auch keine.

 

Im Jahr 2008 wurde das Freie Aufstellen durch meinen Bestseller "Ich stehe nicht mehr zur Verfügung" einem größeren Publikum bekannt.

 

2012 wurden die Freien Systemischen Aufstellungen im Lexikon des Familienstellens und der systemischen Aufstellungsarbeit von Pierre Frot (Schirner Verlag) aufgenommen.

 

Meine Frau Jacqueline und ich haben uns bei meinen Workshops "Freie Systemische Aufstellungen" kennengelernt. Seitdem wir ein Paar sind, stellen wir sehr oft auch nur zu zweit Themen auf und lösen auf diese Weise manche Konflikte, unterstützen uns gegenseitig bei Lösungen oder testen bei Planungen, welche zukünftige Entscheidung für uns wohl günstiger zu sein scheint. Daraus ist das Buch "Der lebendige Spiegel im Menschen" entstanden. Untertitel: "In Resonanz lernen-lösen-leben-lieben".

 

Im Jahr 2014 führte ich den Begriff "Resonierende Empfindung" für das in Aufstellungen und im Alltag auftauchende Resonanz-Phänomen ein, das bisher oft auch "Repräsentierende Wahrnehmung" oder "Stellvertretende Wahrnehmung" genannt wurde. Nach meinen bisherigen Erfahrungen taucht dieses Phänomen mal mehr mal weniger in solchen Momenten auf, in denen sich ein Mensch den Zielen eines anderen Menschen zur Verfügung stellt. Das Zur-Verfügung-Stellen geschieht durch reine Beobachtung des anderen, durch die eigene bereitwillige Hilfe für die Ziele des anderen, durch normale Kommunikation miteinander oder auch durch die Wünsche, den anderen Menschen besser zu verstehen oder ihn verändern/überzeugen zu können. In all diesen Momenten sind natürliche resonierende Empfindungen bewusst wahrnehmbar. Meine Sichtweise nach sind sie jedoch permanent vorhanden - auch wenn wir sie nicht immer bewusst registrieren können.

 

Im August 2015 erschien das "Handbuch Qualität in der Aufstellungsleitung", herausgegeben von Kerstin Kuschik und Kirstin Nazarkiewicz. Durch die integrierende Haltung ("Einschließlichkeit") der Herausgeberinnen wurde auch das Freie Aufstellen gewürdigt und ich durfte einen 30seitigen Beitrag zu diesem Buch beisteuern mit dem Titel "Die Qualität bei den Freien Systemischen Aufstellungen".

Das Freie Aufstellen erfährt in der Aufstellungsszene immer mehr Anerkennung und wird als eigenständige Aufstellungsform als dazugehörig integriert, nachdem es in den Anfangsjahren mehrfach von unterschiedlichen Therapeuten und Aufstellungsleitern angefeindet oder ignoriert wurde.

In der Zeitschrift "Kontext" (Zeitschrift für Systemische Therapie und Familientherapie, Ausgabe 2/2015) schreiben die Herausgeberinnen Kuschik und Nazarkiewicz:

"... Auch gibt es inzwischen eigene Aufstellungsformate, die auf therapeutischen oder entwicklungspsychologischen Modellen beruhen. Zu nennen sind beispielsweise das 'Aufstellen des Anliegens' nach einer Theorie der mehrgenerationalen Psychotraumatologie (Ruppert, 2005, 2012), der 'Lebensintegrationsprozess' (LIP) nach einem Modell menschlicher Entwicklungsstufen (Nelles u. Geßner, 2014) oder das 'Freie Aufstellen' nach einem Konzept der Selbstverantwortung (Jacobsen, 2003)."

 

Ich freue mich sehr über diese Entwicklung und wünsche den Freien Systemischen Aufstellungen eine permanent wachsende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.

 

 

 

Seit 2003 lernte ich durch Beobachtungen und persönliche Schlussfolgerungen in meinen Aufstellungsveranstaltungen sehr viel dazu. Es gab immer wieder Teilnehmer, die mich durch ihr besonderes Verhalten herausforderten und manchmal auch Konflikte in der Gruppe auslösten. Jeden Konflikt sah ich als "Lücke im Freien Aufstellen" an und nutzte ihn, um die Regeln zu verfeinern, den Konfliktherd zu integrieren und aufzufangen. Die Ergebnisse meiner Erfahrungen und Überlegungen findest du auf dieser Website versammelt (besonders unter dem Menü-Punkt Organisieren).

 

Heute - nach vielen Jahren gründlicher Recherche - kann ich mit gutem Gewissen behaupten, dass ich im Jahr 2003 wohl der Erste war, der den Begriff "Freie" vor den bereits gebräuchlichen Begriffen "Systemische Aufstellungen" oder "Familienstellen" setzte. Außerdem war ich wohl auch der Erste, der die Rangfolge beim Aufstellen so änderte, dass die aufstellende Person immer der Chef ihrer Aufstellung ist und "frei" darüber bestimmen darf. Deswegen erlaube ich mir auch, mich "Begründer der Freien Systemischen Aufstellungen" und "Pionier der klientenzentrierten Systemaufstellung" zu nennen. Und ich bin bis heute der Einzige, der Bücher und Artikel über diese spezielle freie Form des Aufstellens geschrieben hat. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich nicht der Einzige bleibe, der darüber schreibt, denn hier liegt ein großes Potenzial brach vor uns ...

 

 

 

 

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